Saal 1

  • Vermeers Œuvre ist klein. Von den 37 Gemälden, die ihm zugeschrieben werden, sind hier 27 vereint. Die Werke werden überwiegend nach Themen geordnet präsentiert. So ist zu erkennen, wie Vermeer die Außenwelt in die stillen Szenen eintreten lässt, wie er sich als Maler entwickelt und wie die Frauen auf seinen Bildern Kontakt zu uns aufnehmen, indem sie ihren Blick nach außen richten.

    Johannes Vermeer ist in Delft geboren, aufgewachsen und gestorben (1632-1675). In seiner Kindheit war er von den Gemälden der väterlichen Kunsthandlung umgeben. Er wurde reformiert erzogen. Mit seiner Heirat mit Catharina Bolnes fand er Aufnahme in eine katholische Familie. Das Paar hatte vierzehn oder fünfzehn Kinder, von denen elf die ersten Lebensjahre überlebten. Vermeer war nicht nur Maler, sondern auch Kunsthändler und Vorsteher der St.-Lukas-Gilde für Künstler.

    Charakteristisch für Vermeer sind die stillen Innenraumszenen, die Beherrschung der Perspektive und die Wiedergabe des Lichts. Wiederholt erscheinen bestimmte Objekte und Interieurs, wodurch der Eindruck entsteht, dass Vermeers Umgebung exakt so aussah. Jedoch zeigt uns der Maler eine von ihm erdachte Welt. Äußerst genau beobachtet er optische Effekte wie Schärfe und Unschärfe. So lenkt er unsere Augen in das Bild hinein, fokussierend auf eine alltägliche Handlung, eine Begegnung, einen Blick, der nur gelegentlich beantwortet wird.

Saal 2

  • Soweit wir wissen, hat Vermeer seine Heimatstadt in drei Gemälden dargestellt, von denen zwei noch bekannt sind: Ansicht von Delft und Die kleine Straße. In seiner Welt herrscht Ruhe, und die Zeit scheint für einen Moment stillzustehen, genau wie in den von ihm gemalten Innenräumen.

    Vermeers Ansatz war innovativ. In seiner Ansicht von Delft stellt er nicht etwa prominent und detailliert die wichtigsten Denkmäler der Stadt dar, vielmehr nähert er sich Delft aus einem unerwarteten Blickwinkel. Dabei erlaubt er sich Freiheiten in Bezug auf die tatsächliche Topografie.

    Mit Licht und Dunkelheit, Perspektive, Farbe und Textur lenkt er unser Auge in die Tiefe. So auch bei dem Bild Die kleine Straße, wo die dunklen Häuser im Hintergrund mit dem hellen, wolkenverhangenen Himmel kontrastieren. Auch die Figuren tragen zur Räumlichkeit bei, etwa die Frau in der Gasse und die spielenden Kinder auf dem Bürgersteig.

    1. In der Ferne ist die Nieuwe Kerk zu sehen, deren mit einer dicken Schicht gelb-weißer Farbe gemalter Turm das Morgenlicht einfängt. Links in der Mittel steht das Schiedamer Tor, deren Uhr etwa sieben anzeigt, rechts das Rotterdamer Tor.
    2. Die abwechselnd hellen und dunklen Abschnitte unterteilen die Komposition grob in vier horizontale Bahnen, im Vordergrund der helle Sand des Kais. Auf dem Schiff rechts sind Glanzlichter zu sehen, winzige Farbpünktchen wie bei der Reflexion von Sonnenlicht.
    3. Eine der Frauen trägt ähnliche Kleidung wie die Frau auf dem Gemälde Das Milchmädchen (Saal 5), das Vermeer im gleichen Zeitraum gemalt hat.

Saal 3

  • Diese vier großen Gemälde sind die frühesten Bilder Vermeers, die wir kennen. Er war Anfang zwanzig und hatte sich gerade als Kunstmaler etabliert. Außerdem war er frisch verheiratet mit der Katholikin Catharina Bolnes, obwohl er selbst im reformierten Glauben erzogen worden war. Sehr ambitioniert malte er religiöse Themen, etwa die Heilige Praxedis und die biblische Szene Christus im Haus von Maria und Martha. Bei der Darstellung orientierte er sich an einem flämischen Vorbild, wobei die Heilige Praxedis eine Kopie nach einem zeitgenössischen italienischen Meister ist. Zweifelsohne waren dies Auftragswerke aus seinem neuen katholischen Umfeld. Darüber hinaus wagte er sich mit Diana und ihre Nymphen auch an die Wiedergabe eines mythologischen Themas.

    Der junge Maler wollte sich eindeutig als Künstler mit internationaler Ausstrahlung zeigen, der zudem die höchste Stufe der Malerei beherrscht: die Darstellung großer historischer Erzählungen. Ein Wendepunkt ist Die Kupplerin. In diesem Gemälde aus dem Jahr 1656 vereinte er alle internationalen Einflüsse, ließ sie aber in eine Bordellszene einfließen. Von nun an wählte Vermeer das alltägliche Leben als Ausgangspunkt für seine Werke.

    1. Als Jesus die beiden Schwestern Maria und Martha besucht, sorgt Martha für das Wohlergehen des Gastes, während Maria zu seinen Füßen sitzt und ihm zuhört. Martha beschwert sich, dass sie die ganze Arbeit allein machen muss. Doch Jesus antwortet ihr, dass Maria die richtige Entscheidung getroffen habe, da das Geistige Vorrang vor dem Materiellen hat. Jede Figur zeigt ihre Rolle: Dienen, Zuhören, Erklären.
    2. Genau in der Mitte ist die gestikulierende Hand Jesu Christi zu sehen, die sich bewusst von dem strahlend weißen Tischtuch abhebt. Auf diese Weise betont Vermeer das gesprochene Wort Jesu als Kern der Geschichte.
    3. Vermeer malt während seiner gesamten Karriere bevorzugt introvertierte Figuren. Das zeigt sich bereits bei diesem frühen Gemälde, etwa in der ruhigen und nachdenklichen Pose Marias.

Saal 4

  • Wie lässt sich ein Raum auf einer ebenen Fläche andeuten? Diese Kunst hat Vermeer Schritt für Schritt gemeistert. In Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster zeigt er nur wenig von dem Raum, doch indem er die Wand mit dem Fenster im rechten Winkel zur Rückwand darstellt, wird Tiefe kreiert. Als Ausgangspunkt nimmt er das alltägliche Leben.

    Der grüne Vorhang scheint vor dem Gemälde zu hängen, doch zur Seite geschoben, enthüllt er die lesende Frau und das große Gemälde hinter ihr. Es zeigt den Liebesgott Cupido, der uns direkt anschaut.

    Bis 2019 war dieser Cupido unter einer weißen Übermalung verborgen. Die jüngste Restaurierung hat ergeben, dass sie nicht von Vermeer stammt, sondern später von jemand anderem ausgeführt wurde. Nach ihrer Entfernung fügt sich das Gemälde sehr gut in die Entwicklung des frühen Vermeer ein.

    Das Gemälde des Cupidos zeigt Vermeer mit kleinen Variationen noch in anderen Gemälden (hier in den Sälen 8 und 9).

    1. Ein roter Vorhang fällt über das offene Fenster, in dem sich das Gesicht des Mädchens spiegelt. Hier malt Vermeer zum ersten Mal mit Punkten und Tupfen aus Farbe. Er zeigt keine Linien, etwa des Haares, sondern baut sie mit Lichtpunkten in unterschiedlichen Farben auf.
    2. Erst später fügt Vermeer den grünen Vorhang hinzu und übermalt damit unten rechts ein großes Weinglas.
    3. Der Liebesgott Cupido tritt mit seinem Bogen in der Hand auf zwei Masken, Zeichen der Täuschung. Das bedeutet: Wahre Liebe muss ohne Falschheit sein– eine Warnung an das brieflesende Mädchen.

Saal 5

  • Um 1658 macht Vermeer Bekanntschaft mit den häuslichen Szenen des Malers Pieter de Hooch, der ebenfalls in Delft lebt. Von ihm übernimmt Vermeer die Perspektive mit nur einem Fluchtpunkt, dem Punkt, an dem alle Geraden aufeinandertreffen.

    Auf dem Bild Das Milchmädchen bestimmt er den Fluchtpunkt mit einer Stecknadel etwas oberhalb des rechten Arms des Mädchens (das Loch der Stecknadel ist noch vorhanden). Daher schauen wir sie ein wenig von unten an. Ihre Monumentalität wird durch die weiße Wand hinter ihr noch verstärkt, von der sie sich deutlich abhebt. Um diesen Effekt zu erzielen, übermalte Vermeer ein Kannenbord, das er zuvor in Höhe ihres Kopfes platziert hatte. Darüber hinaus übermalte er unten rechts einen großen Wärmekorb und ersetzte ihn durch Fliesen aus Delfter Blau und ein Stövchen. Doch es ist insbesondere das Licht, das den Raum beherrscht und auf allen Objekten spielt und reflektiert. Das Brot und der Brotkorb auf dem Tisch bestehen aus Hunderten von „Licht“-Pünktchen. Die Handlung ist einfach und konzentriert. Nur der Milchstrahl scheint sich zu bewegen. Vermeer macht uns zu Teilhabern seiner stillen Welt.

    1. Dies ist eine technisch bearbeitete Infrarotaufnahme der unterliegenden Malschicht. Zu sehen ist das Kannenbord in Kopfhöhe, das Vermeer später übermalte. Nach der Übermalung konzentriert sich die Aufmerksamkeit ganz auf die Frau und ihre Tätigkeit.
    2. In einem Wärmekorb befand sich ein Stövchen mit glühenden Kohlen, eine Art tragbare Wärmequelle. Auf einem bauchigen Deckel aus Weidenzweigen konnten die Windeln getrocknet werden.
    3. Angesichts der vielen Brotstücke auf dem Tisch bereitet das Mädchen wahrscheinlich einen Brotpudding aus trockenem, in Milch eingeweichtem Brot zu. Manchmal wurde die Milch mit Bier versetzt, das sich möglicherweise in dem blauen Krug aus deutschem Steinzeug befindet.

Saal 6

  • Ruhig und verhalten sind Vermeers Szenen, fast abgeschlossen von der Außenwelt. Dennoch ist diese vorhanden. Vermeer gewährt ihr Einlass, indem er Fenster öffnet oder jemanden daraus schauen lässt.

    Auf dem Bild Der Soldat und das lachende Mädchen ist ein Mann zu sehen, der während seines Besuchs einen großen Hut aus Biberfäll trägt. Mit der Karte von Holland und Westfriesland an der Wand und auch durch das offene Fenster hält die Außenwelt Einzug in den geschlossenen Raum. Das Gemälde Die Lautenspielerin zeigt eine Frau, die ihr Instrument stimmt und dabei aus dem Fenster schaut. Erwartet sie jemanden? Briefe transportieren par excellence etwas von außen nach innen. Auf dem Gemälde Schreibende Frau mit Dienstmagd gestattet uns der zurückgezogene grüne Vorhang auf der linken Seite einen ungehinderten Blick in den Raum, während die wartende Magd entlang des weißen Vorhangs durch das Fenster hinausschaut. Die Geborgenheit des Wohnzimmers wird gerade dann spürbar, wenn Straßengeräusche ins Innere zu dringen scheinen.

    1. Die Intimität der Szene erreicht Vermeer durch die perfekte Beherrschung der Perspektive: Er zeigt den Mann im Vordergrund und gibt ihn wesentlich größer wieder als die Frau. Diesen Effekt könnte Vermeer mit einem optischen Instrument, der Camera obscura, studiert haben. Dabei handelte es sich um einen dunklen Raum oder Kasten mit einem Loch bzw. später einer Linse, durch die Bilder von Objekten außerhalb des Raums auf die gegenüberliegende Wand projiziert wurden.
    2. Wie bei dem Bild Das Milchmädchen malt Vermeer Teile der Szene mit vielen kleinen Tupfen Farbe. Bei hellem Licht erscheinen auf der Projektion einer Camera obscura Lichtpünktchen.
    3. Diese weiße Fensterlaibung zeigt das hellste Licht des gesamten Gemäldes. Zu Recht, denn das Sonnenlicht im Freien ist viel heller als das Licht im Inneren eines Hauses. Mit diesem Weiß erzeugt Vermeer eine Suggestion von hellem Tageslicht im Hausinneren.

Saal 7

  • Zwischen 1664 und 1667 schuf Vermeer eine kleine Gruppe von Gemälden mit Frauen, die uns direkt ansehen und uns sehr nahe kommen. Ihr Blick geht aus dem Bild heraus, in unsere Welt hinein. Es handelt sich nicht um Porträts, obwohl diese Darstellungen zweifellos auf Studien nach lebenden Modellen beruhen. Vermeer folgte damit dem damals beliebten Typus der “Tronie”: lebhaft gemalte Charakterköpfe und Fantasieporträts von Figuren in fiktiven Kostümen. In diesen Werken erforschten die Maler das menschliche Gesicht und die Mimik sowie Lichteffekte und die Darstellung von Schatten.

    Die Frauen stellen einen sehr direkten Kontakt her, indem sie den Kopf drehen und uns über ihre Schultern hinweg ansehen. Die experimentellen Werke Mädchen mit der Flöte und Mädchen mit rotem Hut bilden den Auftakt zu unter anderem Das Mädchen mit dem Perlenohrring. Darin strebte Vermeer nach noch größerer Einfachheit. Alle Aufmerksamkeit gilt der jungen Frau und ihrem Blick. Eine weitere Methode, um eine noch größere Nähe zu erreichen, besteht darin, den Abstand zu der Frau verringern, wie es Vermeer in Die Spitzenklöpplerin tut. Hier sind wir sogar so nah dran, dass wir die Fäden in ihren Händen sehen können.

    Das Mädchen mit dem Perlenohrring ist ab dem 1. April im Mauritshuis in Den Haag zu sehen.

    1. Hier wurde in den Schatten der Haut eine dünne, transparente Schicht aus grüner Erde aufgetragen. In den Niederlanden ist dies im 17. Jahrhundert nur bei Vermeer zu sehen.
    2. Wie das Mädchen mit Flöte, das hierneben hängt, wurde auch dieses Werk auf Holz gemalt. Beides dürften Studien sein, worauf auch die skizzenhaft-experimentelle Malweise hinweist.
    3. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gemälden Vermeers kommt das Licht in den Werken Mädchen mit Flöte, Die Spitzenklöpplerin und Mädchen mit rotem Hut von rechts.

Saal 8

  • Wie die in Saal 7 zu sehenden Frauen schauen uns auch diese Damen direkt an, aus dem Bild heraus, als wären sie in ihrem Musizieren gestört. Nicht nur in diesen, sondern auch in vielen anderen Gemälden Vermeers spielt die Musik eine wichtige Rolle. Frauen spielen Gitarre, Cembalo oder ein Virginal (ein Tasteninstrument). Auf mehreren Darstellungen steht oder liegt eine Viola da Gamba (eine Art Kontrabass) auf dem Boden, wie auch hier bei der Sitzenden Virginalspielerin.

    Im Hintergrund der Sitzenden Virginalspielerin hängt ein tatsächlich bestehendes Gemälde von Dirck van Baburen. Darauf ist eine Laute spielende Prostituierte zu erkennen, die einen Mann anlacht, der ihr eine Münze anbietet. Diese Darstellung verleiht der Bedeutung, die man dem Gemälde von Vermeer geben kann, eine bestimmte Färbung. Das gilt auch für das Gemälde im Hintergrund der Stehenden Virginalspielerin, wo erneut der Liebesgott Cupido erscheint, wie zuvor auf dem Bild Brieflesendes Mädchen am Fenster (hier im Saal 4).

    1. Die Tasteninstrumente auf den Gemälden Sitzende und Stehende Virginalspielerin scheinen identisch zu sein, aber die gemalten Landschaften auf ihren Deckeln unterscheiden sich voneinander. Auf der Stehenden Virginalspielerin zeigt der Deckel nahezu die gleiche Landschaft wie das Bild an der Wand.
    2. Im Laufe seiner Malerkarriere trieb Vermeer die Stilisierung des Stoffausdrucks immer weiter voran. Den weißen Ärmel der Frau malt er nur noch mit Flächen und nebeneinander gesetzten Punkten Farbe, um den Anschein von kostbaren Stoffen zu erwecken.
    3. Die aufblickende, musizierende Frau kontrastiert mit der Szene auf dem Wandgemälde, wo der Preis für die Dienste der Prostituierten ausgehandelt wird. Hier sind Musik und (bezahlte) Liebe unmissverständlich miteinander verbunden. Das Originalgemälde von Dirck van Baburen hing in Vermeers Wohnung.

Saal 8

  • Neben Gemälden mit einer einzelnen, aus nächster Nähe gezeigten Figur entwickelte Vermeer eine neue Darstellungsform mit zwei oder drei Figuren in größeren Innenraumszenen. In seinem Liebesbrief etwa nimmt er einen großen Abstand zu den beiden Frauen ein, die er (und damit auch wir) aus einem dunklen Korridor heraus beobachtet. Durch Vermeers geschlossene Komposition werden wir zu heimlichen Zuschauern.

    Die Dame des Hauses hat ihr Spiel auf einer Cister (eine kleine Laute) unterbrochen, da das Dienstmädchen ihr einen Brief übergibt. Handelt es sich um einen Liebesbrief? Das Seestück an der Wand legt dies nahe, da Liebe auch mit dem Meer verglichen wurde und ein Geliebter mit einem Schiff – stürmisch oder ruhig, bedroht oder sicher.

Saal 8

  • Briefe sind oft Thema in Vermeers Werk. Zunächst schuf er drei Gemälde mit einer einzelnen lesenden oder schreibenden Figur, später drei Darstellungen mit einer oder einem Bediensteten dabei. Vermeer zeigt stets wohlhabende Frauen, die über ihre Briefe den Kontakt zur Außenwelt pflegten. Für Verliebte waren Briefe ein ideales Mittel des umeinander Werbens. Es gab sogar Bücher mit Anleitungen, in denen sich die schönsten Formulierungen finden ließen. Noch in ihrer eleganten Bettjacke beschwört die Brieflesende Frau in Blau durch leises Murmeln der geschriebenen Worte einen Abwesenden herauf.

    Bedienstete konnten die Briefe innerhalb der Stadt zustellen, ohne Verdacht zu erregen. Für die Damen selbst wäre dies jedoch unschicklich gewesen. Auf dem Bild Dame und Dienstmagd wird eine Frau an ihrem Schreibtisch von einem ihr überbrachten Brief überrascht. Die Außenwelt dringt wie bei anderen Darstellungen durch Fenster oder Türen ins Innere. Bei der Schreibenden Frau in Gelb, einem eng verwandten Gemälde, ist es auch der Blick der Frau aus dem Bild heraus, der neben dem Brief das Innen mit dem Außen verbindet.

    1. Vermeer hat diese Frau drei Mal als Überbringerin eines Briefes gemalt. Wir kennen die Namen von Vermeers Modellen nicht.
    2. Vermeer zeigt eine sehr modische Dame. Da Hermelinpelze nicht einmal von wohlhabenden Bürgern getragen wurden, könnte hier ein mit Punkten bemaltes Kaninchenfell dargestellt sein. Auch die Perle am Ohr ist möglicherweise keine echte Perle. So große Perlen waren selten und sehr teuer, sodass es sich wahrscheinlich um ein Exemplar aus einem preiswerten Material wie Glas handelt oder eine künstlerische Freiheit des Malers darstellt.
    3. Das Kästchen auf dem Tisch, in dem Schmuck, Briefe oder andere Wertgegenstände aufbewahrt werden konnten, scheint aus der Region Goa (Indien) zu stammen. Wie die Landkarte auf dem Gemälde Brieflesende Frau in Blau erinnert die Schatulle an die Außenwelt, ein greifbares Ding aus der Ferne.

Saal 9

  • Zwischen diesen Gemälden aus der Zeit um 1660 gibt es viele Berührungspunkte. Die modisch gekleideten Frauen musizieren oder haben soeben damit aufgehört und trinken Wein. Die Herren scheinen gerade von draußen hereinzukommen und tragen noch ihre eleganten Umhänge. Ihre gesamte Aufmerksamkeit gilt den jungen Frauen, die sich dafür wohl nicht unempfänglich zeigen. Eine der Frauen wendet sich uns zu und lässt uns auf diese Weise an der Situation teilhaben. Wir sehen Notenbücher und eine Cister, denn Liebe wurde häufig mit gemeinsamem Singen und Musizieren in Verbindung gebracht. Aber was genau passiert, wissen wir nicht. Über vieles lässt sich nur mutmaßen.

    Die Perspektivlinien der Tische und Stühle sowie die Fenster in der linken Wand sorgen für eine überzeugende räumliche Illusion. Vermeer stellt die Figuren in den Vordergrund, sodass wir ihnen ganz nahe kommen können. Auf diese Weise schafft er ein großes Gefühl der Intimität zwischen der Szene und dem Betrachter.

    1. Der Mann trägt einen Mantel aus Plüsch. Dieser teurer Veloursstoff wurde aus der Wolle der Angoraziege hergestellt. Die Schüsselfalten suggerieren, dass der Mann seine linke Hand in die Hüfte stemmt, eine Pose, die Selbstbewusstsein ausstrahlt. Ein solcher Plüschmantel ist auch auf dem Gemälde Die unterbrochene Musikstunde zu sehen.
    2. Die in dem Bleiglasfenster dargestellte Frau hält die verschlungenen Bänder eines Wappens in den Händen. Das vornehme Familienwappen suggeriert eine altertümliche Ordentlichkeit, die im Kontrast zu der amourösen Szene steht.
    3. Der Mann hält einen weißen Weinkrug fest, der im Zentrum der Darstellung zu sehen ist und subtil von der weißen Manschette des Hemdes umschlossen wird.

Saal 9

  • Dies ist eines der wenigen Werke, in denen Vermeer einem Mann die Hauptrolle gibt. Auf dem Schrank des Zimmers stehen ein Globus und einige Bücher. Mit einem Kompass in der Hand studiert der Mann die vor ihm auf dem Tisch liegenden Karten. Sein Blick schweift jedoch in die Ferne.

    Das Tageslicht fällt ohne den Einsatz eines wissenschaftlichen Instruments direkt auf die Papiere und die Stirn des Geografen, wodurch Vermeer das intellektuelle Interesse an der Welt betont. Die Außenwelt findet so Eingang in die Abgeschiedenheit des Studierzimmers.

    Zu diesem Gemälde gehört ein Gegenstück, Der Astronom (Louvre, Paris), auf dem der Wissenschaftler einen Himmelsglobus studiert.

Saal 9

  • Vermeer malt um 1662-1664 eine kleine Gruppe von Werken, auf denen nur eine einzelne Frau dargestellt ist, die an einem Tisch mit verschiedenen Gegenständen steht. Alle Protagonistinnen werden während einer stillen, meditativen Handlung gezeigt. Auf dem Gemälde Junge Dame mit Perlenhalsband ist eine Frau zu sehen, die sich vor dem Spiegel herausputzt. Dies galt zu Vermeers Zeit als negativ, weil es “weltlich”, eitel und auf Äußerlichkeiten ausgerichtet war.

    Dasselbe gilt für die Dame auf dem Bild Frau mit Waage, die an einem Tisch mit wertvollem Schmuck steht. Um deren Wert zu ermitteln, hält sie eine Waage in der Hand. Hinter ihr hängt ein Gemälde mit der biblischen Geschichte vom Jüngsten Gericht, das deutlich macht, dass sie selbst eines Tages gewogen und gerichtet werden wird.

    Vermeer war durch seine Nachbarn, den Patern des Jesuitenordens, mit katholischer Andachtsliteratur vertraut. In seiner Allegorie des katholischen Glaubens verwendet er eine Reihe von Symbolen, die bei ihrer Betrachtung andächtig aufgenommen werden können. Auf diese Weise werden die Gläubigen zu den inneren Werten geführt.

    1. Vermeer benutzte ein Handbuch, um die Symbole für seine Allegorie zu bestimmen. Die Hauptfigur, die Personifikation des “Glaubens”, überwindet das Weltliche, Eitle und Vergängliche, indem sie ihren Fuß auf einen Erdglobus setzt.
    2. Die Personifikation des Glaubens blickt intensiv auf diese Glaskugel. Aufgrund der Reflexion vermag diese – wie der Glaube – mehr zu erfassen, als sie eigentlich physisch erfassen kann. Vermeer griff dabei auf die Vorlage eines Jesuiten zurück, eines Vertreters jenes katholischen Ordens, der sich in seiner Nachbarschaft befand.
    3. In Vermeers Wohnhaus hingen zwei Gemälde mit der Kreuzigung Jesu Christi, von denen möglicherweise eines hier an der Rückwand gezeigt wird. Es ist ein charakteristisches Stück katholischer Frömmigkeit.

Saal 10

  • 1632

    Johannes Vermeer wird in Delft als zweites Kind von Reynier Jansz und Digna Baltens geboren. Seine Taufe findet in der reformierten Nieuwe Kerk statt. Sein Vater ist Gastwirt, Seidenwirker und Kunsthändler.

    1641

    Die Familie wohnt im Gasthof „Mechelen“ am Delfter Markt. Johannes besucht vermutlich eine kleine Akademie an der Voldersgracht, wo er möglicherweise die Grundlagen des Zeichnens und der Geometrie erlernt.

    1653

    Heirat mit Katharina Bolnes in der katholischen Kirche von Schipluiden, einem Dorf bei Delft. Von Bekannten werden sie Trijntje und Jan genannt. Wie sein 1652 verstorbener Vater ist auch Vermeer als Kunsthändler tätig. Er tritt der St. Lukasgilde bei, einer zunftartigen Bruderschaft von Künstlern. Von diesem Moment an ist er selbständiger Maler.

    1653-1655

    Vermeer malt Bilder mit biblischen und mythologischen Themen.

    1656

    Vermeer malt und signiert das Gemälde Bei der Kupplerin.

    1657-1659

    Vermeer malt unter anderem das Bild Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster. Er leiht sich Geld von den Delfter Kunstliebhabern Pieter Claesz van Ruijven und Maria de Knuijt, seinen wichtigsten Kunden.

    1653-1660

    Die Familie Vermeer lässt sich in einem gemieteten Haus am Oude Langendijk nieder. Später wohnt auch die Schwiegermutter Maria Thins an dieser Adresse. Ihre Nachbarn sind Jesuitenpater. Später stellt Vermeer Gemälde aus Thins’ Besitz auf seinen eigenen Bildern dar. Von den vierzehn oder fünfzehn Kindern überleben elf die ersten Lebensjahre.

    1658-1661

    Vermeer malt unter anderem Das Milchmädchen, Das Glas Wein und die Ansicht von Delft.

    1662

    Vermeer wird für zwei Jahre zum Vorsteher der St. Lukasgilde gewählt.

    1662-1667

    Produktive Zeit, in der unter anderem die Gemälde Junge Dame mit Perlenhalsband, Briefleserin in Blau, Die Spitzenklöpplerin, Frau mit Waage und Das Mädchen mit dem Perlenohrring entstehen. Vermeer gilt als ein bedeutender Maler.


    1668-1670

    Tod seiner Mutter. Vermeer ist jetzt Besitzer des Gasthofs „Mechelen“ und wird erneut zum Vorsteher der St. Lukasgilde gewählt. Er malt unter anderem die Bilder Der Geograf und Der Liebesbrief.


    1672

    Katastrophenjahr in der Republik der Vereinigten Niederlande. Aufgrund der sich verschlechternden Wirtschaftslage verkauft Vermeer kaum noch Gemälde.

    1674

    Vermeer ist als Pikenier Mitglied der Bürgerwehr.


    1670-1674

    Vermeer malt unter anderem die Bilder Allegorie des katholischen Glaubens, Stehende und Sitzende Virginalspielerin und Briefschreiberin und Dienstmagd.

    1675

    In der zweiten Dezemberwoche stirbt Johannes Vermeer im Alter von 43 Jahren nach eineinhalbtägiger Krankheit unbekannter Ursache. Seine Frau Katharina bleibt mit ihren elf Kindern und hohen Schulden zurück. Beim Bäcker begleicht sie eine Summe von über 600 Gulden, indem sie die Gemälde Die Gitarrenspielerin und Der Liebesbrief als Pfand hinterlegt.